Die Demonstrationsbereitschaft ist abhängig von der Gruppengröße I Christopher Roth

08.09.2021

Die Größe der eigenen Gruppe stachelt Demonstrierende eher an als die Zahl der Gegendemonstrierenden. Das zeigt eine interdisziplinäre Studie, an der auch der Ökonom Christopher Roth, Mitglied des Exzellenzclusters ECONtribute: Markets & Public Policy der Universitäten Bonn und Köln, beteiligt war. Die Studie ist vorab als „ECONtribute Discussion Paper“ erschienen.

Die erwartete Anzahl von Teilnehmer:innen einer Kundgebung ist ausschlaggebend für die eigene Bereitschaft, sich an politisch linkem oder rechtem Protest zu beteiligen. Gegendemonstrationen hingegen motivieren Demonstrierende nicht, stärker zu protestieren. Das zeigt eine aktuelle Studie eines interdisziplinären Teams aus Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern um Professor Dr. Christopher Roth am Exzellenzcluster ECONtribute an der Universität zu Köln.

Die Forscher widerlegen damit das medial oft vermittelte Bild sich gegenseitig anstachelnder Gruppierungen bei Demonstrationen. Die Studie erscheint demnächst im renommierten Journal American Political Science Review und ist Teil einer Reihe von Publikationen von Roth und seinem Team zur strategischen Interaktion im politischen Aktivismus.

Reaktion unterscheidet sich je nach politischer Einstellung

Wann immer Gruppierungen wie die sogenannten Querdenker, „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida), oder Anhänger:innen der Alternative für Deutschland (AfD) eine Demonstration anmelden, kündigt die Gegenseite rasch ebenfalls eine Demonstration an. In diesem Zusammenhang interessierte Roth und sein Team die Wechselwirkung zwischen Kundgebung und Gegenkundgebung: Anhand zweier von der AfD angemeldeter Demonstrationen und entsprechender Gegendemonstrationen untersuchten sie, wie sich Demonstrierende als Reaktion auf unterschiedlich hohe Teilnahmezahlen der eigenen sowie der gegnerischen Veranstaltung verhielten. „Menschen reagieren je nach politischem Lager unterschiedlich“, sagt Roth. „Die eigene Bereitschaft zu demonstrieren hängt dabei jedoch nicht davon ab, wie viele Menschen der Gegenseite auf die Straße ziehen.“

Politikwissenschaftler:innen gingen bisher oft davon aus, dass die Demonstrationsbereitschaft einer Gruppe – unabhängig von der politischen Orientierung – immer steigt, wenn die Anzahl der Gegendemonstranten zunimmt und sinkt, wenn eh schon viele aus der eigenen Gruppe demonstrieren. Die Ergebnisse zeigen aber, dass sich die Demonstrationsbereitschaft der beiden Gruppen unterscheidet.

Grundlage der Untersuchung waren zwei Kundgebungen im Mai 2018 und 2019 mit 30.000, beziehungsweise 5.000 Demonstrierenden. Um mehr über die Teilnahmebereitschaft der Menschen herauszufinden, rekrutierten die Wissenschaftler mittels Werbeanzeigen auf Facebook anhand der politischen Orientierung und des Wohnortes insgesamt 1.464 Studienteilnehmende. Sie konfrontierten die Befragten mit unterschiedlich hohen Prognosen zur Teilnahmezahl der eigenen sowie der Gegendemonstration, um anschließend die Demonstrationsbereitschaft abzufragen.

Politisch linke Demonstrierende zieht es bei hohen Teilnahmezahlen eher auf die Straße

Die Ergebnisse: Politisch linke Aktivist:innen wollen 5,8 Prozentpunkte eher an der Demonstration teilnehmen, wenn sie mit einer hohen Teilnahmezahl in der eigenen Gruppe rechnen. Für rechte Aktivist:innen sinkt die Wahrscheinlichkeit bei einer größeren Anzahl Demonstrierender um 6,1 Prozentpunkte. Sie gehen den Ergebnissen zufolge also eher auf die Straße, wenn sie mit wenigen Teilnehmenden aus dem eigenen „Lager“ rechnen.

„Die Ergebnisse helfen dabei zu verstehen, wie auch Randgruppen systematisch Macht erlangen können“, sagt Roth. Dass geringe erwartete Teilnehmerzahlen Anhänger:innen rechter Gruppen eher zu einer Teilnahme anspornen, erkläre, warum Randgruppen wie etwa Pegida nie ganz aussterben.

Ein weiterer Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse könne darin liegen, dass die eher dem linken Spektrum zuzuordnenden Aktivist:innen besser untereinander vernetzt seien und die Veranstaltung eher genießen. Demnach könnten auch soziale Motive und der „Spaßfaktor“ eine Rolle bei der eigenen Demonstrationsbereitschaft spielen.  Wie viele Menschen an der Gegendemonstration teilnehmen, spielte für beide Gruppen keine Rolle.

Presse und Kommunikation

Lisa Oder
ECONtribute: Markets & Public Policy
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M lisa.oder@wiso.uni-koeln.de

Carolin Jackermeier
ECONtribute: Markets & Public Policy
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M jackermeier@wiso.uni-koeln.de

 

Inhaltlicher Kontakt

Prof. Christopher Roth, PhD
ECONtribute: Markets & Public Policy, Universität zu Köln
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