Geringverdienende verlieren doppelt in der Coronakrise I Hans-Martin von Gaudecker

17.04.2020

Homeoffice und gleichbleibendes Gehalt auch in der Coronakrise? Nicht für alle Arbeitnehmende ist dies in Krisenzeiten möglich. Ökonom:innen des Exzellenzclusters ECONtribute in Kooperation mit dem Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) befragten vom 20. bis zum 31. März 2020 rund 5.500 Niederländer:innen zu den Veränderungen ihrer Arbeitswelt während der Pandemie. Deutlich wird: Höher qualifizierte Arbeitnehmende verbringen mehr Zeit im Homeoffice, während weniger qualifizierte Arbeitnehmende gezwungen sind, Stunden zu reduzieren oder Gefahr laufen, ihren Job ganz zu verlieren.

Die Möglichkeit zum Homeoffice ist eine Frage des Bildungsgrads. Das bescheinigen neue Daten des COVID Impact Lab, einem neuen Forschungsprojekt des Exzellenzclusters ECONtribute: Markets & Public Policy in Kooperation mit dem Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Die Wissenschaftler:innen verglichen die Veränderungen in der Arbeitswelt rund um den Beginn der Krise – bevor sie Auswirkungen auf das Berufsleben hatte und kurz nachdem es zu ausgangsbeschränkenden Regierungsmaßnahmen kam. Erstmals lässt sich mit Zahlen belegen, wie sich der Anteil von Arbeitnehmenden, die ihre tägliche Arbeit von zu Hause verrichten, verändert hat.

Vom Homeoffice profitieren Besserverdienende

So hat sich zwar der Anteil der Arbeitnehmenden, die mindestens zwei Stunden pro Tag im Homeoffice arbeiteten, von 27 auf 54 Prozent verdoppelt. Doch Heimarbeit können nicht alle gleichermaßen nutzen: Unter hochqualifizierten Arbeitnehmenden geben 76 Prozent an, nach Beginn der Krise mindestens zwei Stunden aus dem Homeoffice zu arbeiten. Unter den Niedrigqualifizierten sind es nur 31 Prozent. Bei Akademiker:innen ist die Umstellung auf Homeoffice außerdem die Norm: Der Anteil der Heimarbeit steigt hier von 11 auf 68 Prozent. Bei den weniger gebildeten Beschäftigten steigt der Homeoffice-Anteil an der wöchentlichen Arbeitszeit hingegen nur auf rund ein Fünftel, zudem sinkt ihre Gesamtstundenanzahl deutlich stärker als bei Akademiker:innen. (Abbildung 1)

Die Verlierer der Krise auf dem Arbeitsmarkt sind Geringverdienende

Grund dafür kann sein, dass weniger Qualifizierte öfter in Berufen arbeiten, in denen sie ihre Tätigkeit nicht im Homeoffice erledigen können, wie beispielsweise im Transportwesen, dem Einzelhandel oder der Gastronomie. Für einen Teil der weniger Qualifizierten kommt es in der Folge häufiger zu Entlassungen oder einer starken Reduzierung der Stunden. Personen am unteren Ende der Einkommensverteilung trifft es außerdem doppelt hart: Nicht nur müssen sie ihre Stunden stärker reduzieren als Besserverdienende. Es ist außerdem zu erwarten, dass diese Stundenreduktionen für sie schwieriger zu bewältigen sind, da sie weniger Rücklagen haben, um die Verluste der kommenden Monate auszugleichen. Sie werden daher stärker als andere Einkommensgruppen staatliche Unterstützung benötigen. Ein anderer Teil der weniger Qualifizierten arbeitet in systemrelevanten Berufen, wie der Pflege oder im Lebensmitteleinzelhandel. Sie haben zwar derzeit einen sicheren Job, sind jedoch einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Im Gegensatz dazu sind Arbeitnehmende im Homeoffice doppelt geschützt – vor Infektionen und Einkommensverlusten. So wird die Zweiteilung von Branchen in Büroberufe, die von hoher Qualifikation und Heimarbeitsquoten geprägt sind und solche mit jeweils niedrigen Werten, sehr deutlich (siehe Abbildung 2).

Übertragbarkeit auch auf Deutschland

„Für Deutschland liegen noch keine umfangreichen Daten vor, es zeigen sich aber erste Tendenzen, die in dieselbe Richtung gehen. Zwar scheint der Anstieg im Homeoffice etwas geringer zu sein als in den Niederlanden, es wird aber deutlich, dass Nicht-Akademiker:innen auch hier das Nachsehen haben und ihre Arbeit nicht von zu Hause ausüben können. Sowohl die Niederlande als auch Deutschland haben außerdem ähnliche restriktive Einschränkungen im öffentlichen Alltag, das schafft eine ähnliche Grundlage“, erläutert Hans-Martin von Gaudecker, ECONtribute-Professor für angewandte Mikroökonomik an der Universität Bonn und Leiter des IZA-Forschungsteams Strukturelle Politikevaluation die Ergebnisse.

Impact Lab mit aktuellen Daten zur Krise

Gemeinsam mit seinem Forschungsteam aus Bonn und der niederländischen Universität Tilburg möchte der Ökonom die Auswirkungen der gegenwärtigen Krise und ihre Gegenmaßnahmen analysieren. Dazu hat er, gemeinsam mit anderen Wissenschaftler:innen, das COVID Impact Lab ins Leben gerufen. Ziel ist es, in der aktuellen Krise schnell hilfreiche Daten zu generieren und diese der Öffentlichkeit und Entscheidungsträgern zur Verfügung zu stellen. Mittelfristig sollen dann vertiefte Analysen erfolgen. Das Projekt wird vom Exzellenzcluster ECONtribute: Markets & Public Policy gefördert.

Information zum Datensatz:

Die Daten wurden mit Hilfe des niederländischen LISS-Panels erhoben. Das LISS (Longitudinal Internet Studies for the Social Sciences)-Panel fragt 4.500 Haushalte seit über zehn Jahren regelmäßig zu einer Vielzahl von Themen. Die Haushalte sind repräsentativ für die niederländische Bevölkerung und beantworten die Fragebögen online. Für diesen Datensatz wurden LISS-Teilnehmende ab 16 Jahren vom 20. bis zum 31. März befragt. 5.453 Personen haben den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Für Deutschland liegen noch keine umfassenden Daten vor, erste Tendenzen lassen sich aber ablesen. Die deutschen Daten werden ebenfalls über eine Online-Umfrage mit Hilfe von GESIS, dem Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, abgefragt.

Figure 1: Working hours distributed between workplace, and homeoffice, according to highest education level, before crisis and late march. Copyright: IZA Institute for Labor Economics

Presse und Kommunikation

Katrin Tholen
ECONtribute
Tel. +49 228 73 7808
M  katrin.tholen@uni-bonn.de

Inhaltlicher Kontakt

Prof. Dr. Hans-Martin von Gaudecker
Universität Bonn
M  hmgaudecker@uni-bonn.de

 

 

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